Wie es gerade ist

Seit anderthalb Jahren bin ich schubfrei, den fast 2 Jahre andauernden Schub beendete schliesslich Rituximab, wovon ich mittlerweile 5 Zyklen bekommen habe. Dafür bin ich sehr dankbar. 

Ich vertrage es gut, habe keine Nebenwirkungen, keine nennenswerten Infekte. Und obwohl ich kürzlich Corona im Haus hatte, blieb ich gesund. Hin und wieder habe ich Gelenkschmerzen in einer Hüfte oder den Fingern oder den Handgelenken. Fast gar keine Schmerzen habe ich mehr in den Füssen und Sprunggelenken. Die Knie sind halt kaputt und tun auch regelmässig weh, aber das neuer Knorpel wächst hatte ich nicht erwartet ;).

Zurückgeblieben sind grosse kognitive Defizite. Fatigue, brainfog, meine Aufmerksamkeitsspanne ähnelt an manchen Tagen der des kleinen Kindes. Ausserdem Wortfindungsstörungen, Vergesslichkeit, aber auch depressive Verstimmung und Zurückgezogenheit. 

Ich wollte das Thema Schub mit einer Reha im Februar für mich zum Abschluss bringen, und dann die Überreste einfach so akzeptieren, wie z. B. meine Knie. 

Wie es gerade ist

Doch das Leben schickte mich in eine andere Richtung. Es gab massive psychische und physische Belastungen über Monate, die auch noch nicht ausgestanden sind. Seit Ende Januar ist hier nichts mehr wie es einmal war. Dinge, die ich schon schlecht fand, wurden noch schlimmer und neue Katastrophen brachten mich an meine Grenzen. Ich fing wieder an zu arbeiten, im Minijob und indem ich eine Ferienwohnung vermiete, die ich mehrmals die Woche putze. Nebenbei versuche ich noch immer meine Internetaktivitäten zu pushen. 

Ich hatte zu Beginn dieser Phase grosse Ängste, dass meine Erkrankungen durch den Stress und die Belastung getriggert werden und ich erneut in einem Schub lande.

Das kann und konnte ich mir nicht leisten. Ich muss meinen Jobs nachgehen und Haus und Hof instand halten und vor allen Dingen für die Kinder da sein können.

Und auch wenn sich mein Vater bereitwillig mein Gejammer anhört, ist das die einzige Unterstützung, die ich aus der Familie erfahren habe.

Meine Ärztinnen haben mir sehr geholfen, mich mit Rat und Tat unterstützt. So zog die Rheumatologin meine Rituximabinfusionen ein bisschen vor, noch bevor die Gelenkschmerzen wieder losgehen konnten. Ich wurde mit schnellen Terminen bei anderen Fachärzten versorgt, bekam kostenlose orthopädische Privatbehandlungen, um mein Knie in Schach zu halten. Meine Hausärztin fragt regelmässig nach, wie es mir geht und hat mir auch eine Therapeutin vermittelt. Den dreien bin ich überaus dankbar.

Überhaupt waren es die Frauen, die mir klitzekleine Inseln im Chaos boten. Eine Bekannte im Dorf, mit der ich einfach spontan mal quatschen kann. Eine Lupine, die meine WhatsApp-Tiraden erträgt. Die Frauengruppe im Dorf, die mich einen Abend im Monat ablenkt. Die Vergehen und Werden Gruppe, in der man auch einfach mal nur weinen darf und in den Arm genommen wird. Die Anwältin, die ganz überraschend unsachlich werden konnte :). Die beiden Frauen von der Frauenberatung, die mich so pushten, dass ich wieder Kraft zum Weitermachen fand. 

Es gibt Aspekte der letzten Monate, die ich hier, im öffentlichen Raum, nicht detaillierter weitergeben möchte. Doch es war und ist sehr viel Sorge, Angst und Ungewissheit dabei. Trauer, Selbstvorwürfe und Zweifel. Erkenntnisse und Unverständnis. Mitgefühl und Liebe.

Ich wuchs mit den Kindern nochmal ganz anders zusammen und mochte mich im Alleinleben. Weil ich mich als kompetent und handlungsfähig empfand. Ich sah aber auch ihren Schmerz, Unverständnis, Leid und fühlte mich oft hilflos und einsam.

Ich verschob die Reha ein weiteres Mal und werde nun hoffentlich im September nach Bad Pyrmont fahren können. Ob ich sie körperlich noch benötige, weiss ich gar nicht. Kognitiv und psychisch ganz bestimmt. Ob ich mich einlassen kann, abschalten kann, weiss ich auch noch nicht.

Weiterhin gibt es grosse Baustellen, die alle auf ihre Art existentiell sind. Gelassenheit und Geduld, das ist es was ich gerade bräuchte, doch dort liegen meine Schwächen. Ich sehne mich nach einer Schulter, nach einem Arm, nach einem Ohr. Mit meinen Therapeutinnen finde ich Dinge heraus, an denen ich kranke. Ich erkenne und wachse. 

Und trotz all dem bin ich stabil, wie wundersam das ist.

Wie es sonst noch ist

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